Rezension

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

Tschechischer Kultfilm neu bearbeitet auf DVD

Aschenbrödel. Ein Codewort geradezu, das ein Strahlen in die Augen und ein entrücktes Lächeln auf die Lippen der Wissenden zaubert. Die Fangemeinde kann längst sämtliche Dialoge mitsprechen, wenn Aschenbrödel und ihr Prinz mit Hilfe von drei Zaubernüssen und Eule Rosalie in einer der beliebtesten Liebesgeschichten Europas agieren. In einem tschechisch-deutschen Fernseh-Wintermärchen, das seit 1973 Millionen von Zuschauern fasziniert hat. Die genialste Überbrückung für die zähen Stunden vor der Bescherung!

Aschenputtel, Aschenbrödel, Cinderella

„Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht. Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht. Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht…“

Na, wird es schon warm ums Herz?

Die Geschichte ist alt und tausendfach erzählt. Ein junges Mädchen namens Aschenputtel, großmütig, schön und gut, wird von ihrer bösen Stiefmutter und ein bis zwei Stiefschwestern schlecht behandelt und als Dienstmagd ausgebeutet. Durch magische Umstände wie ein Zweiglein, welches, begossen mit Tränen, zu einem Wunderbaum heranwächst, durch eine Fee oder eben durch Zaubernüsse landet sie schließlich traumschön auf dem königlichen Ball und in den Armen des begehrten Prinzen. Dieser ist sogleich Feuer und Flamme für die atemberaubende Fremde. Aus widrigen Gründen aber, muss die Schöne stets Hals über Kopf aus dem Ballsaal flüchten, wobei sie auf der Treppe ihren Schuh verliert. An diesem wird sie schließlich auch wiedererkannt, denn keiner anderen passt der winzige silberne oder gläserne Pantoffel, den der Prinz von der Auserwählten ergattern konnte.

Wie kommt es jedoch, das die deutsch-tschechische Bearbeitungen dieses Stoffes bis heute alle weiteren Verfilmungen toppt? Dass sie als „Geniestreich“ bezeichnet und zum „Märchenfilm des Jahrhunderts“ erhoben, alljährlich um die Weihnachtszeit auf bis zu zehn unterschiedlichen deutschsprachigen Kanälen läuft? Dass bereits Tränen der Rührung fließen möchten, wenn gerade mal der Vorspann losgeht, und die ersten Klänge der überragenden Filmmusik die ersten Szenen untermalen?

Differenziert und emanzipiert

Es liegt wohl ganz besonders an den beiden Hauptdarstellern des Filmes, die der Zuschauer noch nie so differenziert, lebendig und natürlich erlebt hat. Aschenbrödel, rührend dargestellt von der tschechischen Schauspielerin Libuse Safrankova ist zwar bildschön, hat jedoch weit mehr als ihr Aussehen zu bieten. Fast ist eine leise Verwandtschaft zu Pippi Langstrumpf festzustellen, wenn sie rotnasig durch den Schnee tobt, unterdrückte Knechte vor Strafen beschützt oder liebevoll ihre Tiere pflegt.

Mit wehendem Haar, singend und von ihrer momentanen Freiheit beseelt, reitet sie durch den dick verschneiten Wald. Sie trägt ein Kittelkleid, eine Fellweste und dicke Strumpfhosen als sie dem Prinzen zum ersten Mal begegnet und ihn so durch Courage und Frechheit beeindruckt. Bei einer weiteren Begegnung auf einem Jagd-Wettbewerb sticht sie, als Jäger verkleidet, Prinz und Gefolgschaft durch ihre Schießkünste aus und wird „König der Jagd“. Erst auf dem Ball spielt sie ihre weiblichen Trümpfe aus. Hinreißend schön verzaubert sie zunächst die Wachen vor der Eingangstür – die lassen sie sofort herein. Im Ballsaal angekommen, liegt ihr die gesamte Festgesellschaft förmlich zu Füßen. Allen voran der Prinz, der das alberne Brautschau-Spektakel – „Das ist kein Ball, das ist eine Treibjagd!“ – gerade wutentbrannt verlassen wollte. Auch er gibt einen ungewöhnlichen Helden ab. Eigensinnig und verspielt widersetzt er sich den Etikette-Vorstellungen seines Vaters und verkörpert so eine ungewöhnliche Ehrenhaftigkeit. Mehr als nur silbergewirktes Kleid

Besonders bemerkenswert: Aschenbrödel strotzt nicht nur vor Aktivität – eine Eigenschaft, die ihrer Figur in anderen Fassungen so gut wie nie vergönnt ist – in dieser Verfilmung weist sie zunächst sogar den Prinzen ab, als der sie noch nicht in ihrem ganzen Wesen erfasst hat. Es genügt ihr nicht, dass der Mann, den sie selbst längst liebt, nur von ihrer Schönheit beflügelt, schon nach dem ersten Tanz die gemeinsame Zukunft verkünden und die Hochzeit ausrufen lassen will. Sie gibt ihm ihr berühmtes Rätsel auf, mit dem ihm klar werden soll, dass zu der Ballgrazie auch noch das Mädchen im Kittelkleid und die geschickte Jägerin gehören.

Vorlage für „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ war die Fassung der Schriftstellerin Bozena Nemcova (1816 – 1862). Sie erschuf zwar nicht das emanzipierte, lebensfrohe Mädchen, das der Film uns präsentiert, die Autorin galt jedoch als außerordentlich freigeistige, sozialkritische Persönlichkeit, so dass ihre Variante des ansonsten gefügigen Aschenbrödel eine Ganze Menge Courage mit auf den Weg bekam.

Regisseur Vaclav Vorlicek machte aus dieser ungewöhnlichen Vorlage eine Geschichte, die nicht nur einem modernen Frauenbild entspricht, sondern gleichzeitig balsamartig auf winterlich verkühlte Gemüter einwirkt. Vorlicek wurde 1930 in Prag geboren und hat neben seinem größten Erfolg „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ weitere Märchenfilme wie „Die kleine Meerjungfrau“ oder „Der Feuervogel“ geschaffen. Er ist maßgeblich am hervorragenden Ruf der Tschechischen Filmindustrie im Bereich der Kinder- und Märchenfilme beteiligt.

Quelle: http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/denkmal/internet/41189/

  1. Dezember 2002 / DENKmal, Nina Karsten 3sat / DENKmal